Bert Hagels
Zur Entstehung der Symphonie Nr. 1 E-Dur

(3. Teil)


Aktualisiert am
4. März 2018
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Rott erhoffte sich von dem Öffentlichwerden seiner Symphonie eine Änderung seiner mittlerweile unhaltbar gewordenen Lage in Wien; er hatte keine Existenz sichernde Stellung, die Lektionen, die er erteilte, reichten offenbar bei Weitem nicht aus, seinen Lebensunterhalt zu gewährleisten. Seit Ende Dezember 1879 verließ er sich fast ausschließlich auf die Unterstützung seines Freundes Joseph Seemüller38. Zwar stand Rott seit Juli 1880 mit der Musikvereinigung Concordia in Mulhouse/Elsass zwecks Übernahme der dortigen Chorleiterstelle in Unterhandlung; aber er tat sich schwer, den Gedanken einer Existenz in seiner Heimatstadt Wien fürs Erste aufzugeben und war bemüht, alles zu unternehmen, was ihm diesen Schritt ersparen könnte. Die Symphonie reichte er nicht nur zur Bewerbung um das Stipendium ein, sondern er bemühte sich auch um eine Aufführung des Werkes in Wien, indem er Hans Richter, dem Dirigenten der Philharmonischen Konzerte, in einem zwischen Devotion und Sendungsbewusstsein schwankenden Schreiben vom 23. August von Glashütte aus einen Besuch für die darauf folgende Woche ankündigt, um Richter mit der Symphonie bekannt zu machen. Richter scheint Rott indes nach erneuter mündlicher Nachfrage freundlich abgewimmelt zu haben; an Seemüller berichtet Rott am 6. September:

"Richter gesprochen, ungemein lieb gewesen; er hat sich entschuldigt, daß er mir nicht antwortete und er hat doch so viel zu thun - 21. ds. ‚Meistersinger'. Donnerstag fahre ich zu ihm nach Weidling, allwann er, die ganze Arbeit in Partitur sorgsamst mit mir durchzunehmen versprach, von selbst verständlich, während meines Vorspielens und dann einiges Zweifelhafte. Heute im Ministerium gewesen; morgen bekomme ich meine Partitur heraus. Heute schreibe ich Geiern, der sie morgen nachmittag gleich bekommt, damit ich sie Donnerstag resp. Mittwoch Abends habe für Richter."39

Der Kopist Geyer sollte die Partituren erhalten, um, so optimistisch war Rott, Stimmauszüge für die erhoffte Aufführung herzustellen. Im Ministerium war er gewesen, um die für die Bewerbung um das "Staatsstipendium" eingereichte Partitur zurückzuerhalten. Doch aus dem neuerlich anvisierten Besuchstermin bei Richter am Donnerstag der Woche, es handelt sich um den 9. September, wurde nichts; Richter hatte Rott versetzt; am gleichen Tage noch beklagt sich dieser bei Freund Seemüller:

"Ich kam soeben von Weidling - Richter hat auf unsere Besprechung vergessen und war gar nicht draußen. O dieses starke Geschlecht! diese Kraft! Nicht einmal mehr genug, daß sie einem sagen könnten: ‚Ich habe momentan viel zu thun, kommen Sie ein ander Mal' [...] Wenn mich einer zur Thüre hinausschmeißt, ist es mir lieber als so etwas im Hinblick auf beide Theile."40

Dennoch mag er die Hoffnung auf Richter nicht aufgeben ("Also warten wir!") und redet sich die Lage schön: "Richter muß sich bestimmt erklären; er kann es; er führte eine Ouverture von Tschaikowski vor Jahren auf eigene Faust ohne Probe auf."41 Eine Woche später, am 16. September erfährt Freund Friedrich Löwi/Löhr bündig: "Richter noch nicht gesehen, vielleicht morgen [...]."42 Auch aus dieser Absprache scheint nichts geworden zu sein, ebenso aus einer weiteren für den 13. Oktober, denn Richter entschuldigt sich an diesem Tag schriftlich bei Rott für "mein heutiges Versäumniß", verspricht aber gleichzeitig, sich das Werk genau anzusehen, und bittet ihn für den nächsten Tag zu sich.43 Wie Richter die Symphonie aufgenommen hat, berichtet Maja Loehr:

"Richters Urteil über die Symphonie soll nach mündlicher Überlieferung sehr anerkennend und ermunternd gewesen sein, aber - zur Aufführung durch die Philharmoniker hat er das Erstlingswerk nicht angenommen."44

Doch auch in der Angelegenheit des Stipendiums will Rott tätig werden; er sucht zu erfahren, wer als Juror über seine Eignung zu urteilen hat. "Bei der Commission [für den Staatspreis] ist außer Brahms und Hanslick noch Goldmark dabei"45, teilt er Joseph Seemüller am 9. September mit. Er spricht im Ministerium vor, macht sich Hoffnungen und plant, sich bei den Juroren persönlich vorzustellen; am 16. September schreibt er an Friedrich Löwi/Löhr: "[...] im Ministerium geht Alles sehr gut, die Aussichten auf das Stipendium gestalten sich günstig. [...] jedenfalls aber morgen bei Hanslick + Brahms."46 Der Besuch bei Johannes Brahms, der dem zitierten Brief zu Folge am 17. September Statt gefunden haben dürfte, muss katastrophal für Rott verlaufen sein; zwar ist nur Anekdotisches überliefert, doch kommt der Bericht Joseph Seemüllers der Wahrheit sicherlich ziemlich nahe; Brahms habe geäußert, dass "neben so Schönem wieder so viel Triviales und Unsinniges in der Komposition sei, daß dies erstere nicht von Rott herrühren könne."47 Ein paar Wochen später, wahrscheinlich am 22. Oktober 188048, - Rott ist auf der Reise von Wien nach Mulhouse, die Stellung in Mulhouse hatte er nolens volens annehmen müssen - hindert er einen Mitreisenden mit vorgehaltener Pistole daran, sich eine Zigarre anzuzünden, weil er dem Wahn anhing, Brahms habe den Zug mit Dynamit anfüllen lassen. Am 23. Oktober wird Rott "in vollständig verworrenem Zustande"49 in die Psychiatrische Klinik im Allgemeinen Krankenhaus in Wien eingewiesen. Am 16. Februar 1881 mit der Diagnose "Verrücktheit, halluzinatorischer Verfolgungswahn"50 in die Niederösterreichische Landes-Irrenanstalt überstellt, stirbt er dort am 25. Juni 1884 noch nicht sechsundzwanzigjährig.

Wie eine Ironie des Schicksals mutet es an, dass Rott mit Schreiben vom 15. März 1881 von der "K. k. nö. Statthalterei" trotz des negativen Urteils von Brahms das Stipendium des Unterrichtsministeriums bewilligt bekommen hat.51

Für die bei Ries & Erler erschienene Partitur wurden folgende Quellen ausgewertet:

· Partiturabschrift, Satz 1
· autographe Partituren, Sätze 2-4
· autographe Einlegeblätter zu Satz 1
· Stimmsätze von Kopistenhand, Sätze 1-3
· Stimmsatz, teils von Kopistenhand, teils autograph; Satz 1
· autographe Skizzen zu den Sätzen 1-4
· autographe Skizze zu Satz 2
· zwei autographe Skizzen zu Satz 4

Sämtliche vorgenannten Dokumente befinden sich in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien.

 

Bert Hagels

(aus dem Kritischen Bericht zur Partiturausgabe der Symphonie E-Dur, Berlin: Ries & Erler, 2002-2003)


1So Helmuth Kreysing, Vorwort, in: Heinz-Klaus Metzger/Rainer Riehn (Hrsg.): Hans Rott. Der Begründer der neuen Symphonie (= Musik-Konzepte 103/104), München 1999, S. 5-8; hier S. 5.

2Vgl. Helmuth Kreysing/Frank Litterscheid: Mehr als Mahlers Nullte! Der Einfluß der E-Dur Sinfonie Hans Rotts auf Gustav Mahler, in: Heinz-Klaus Metzger/Rainer Riehn (Hrsg.): Gustav Mahler. Der unbekannte Bekannte (= Musik-Konzepte 91), München 1996, S. 46-64. Dort auch eine kurze Darlegung des psychisch ambivalenten Verhältnisses Mahlers zu Rott.

3Werknummerierung nach Leopold Nowak: Die Kompositionen und Skizzen von Hans Rott in der Musiksammenlung der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Günter Brosche (Hrsg.): Beiträge zur Musikdokumentation. Franz Grasberger zum 70. Geburtstag, Tutzing 1975, S. 273-340. Ein Verzeichnis der aufführbaren Kompositionen legte Helmuth Kreysing vor, in: Heinz-Klaus Metzger/Rainer Riehn (Hrsg.): Hans Rott, a.a.O., S. 157-171. Eine übersichtliche Konkordanz beider Verzeichnisse bietet Uwe Harten, in: ders. (Hrsg.): Hans Rott (1858-1884). Biographie, Briefe, Aufzeichnungen und Dokumente aus dem Nachlaß von Maja Loehr (1888-1964), Wien 2000, S. 28-31.

4Zitiert nach: Helmuth Kreysing (Hrsg.): Hans Rotts schriftlicher Nachlaß, in: Heinz-Klaus Metzger/Rainer Riehn (Hrsg.): Hans Rott, a.a.O., S. 45-156, hier S. 63. Die durch Überstreichung als verdoppelt gekennzeichneten Konsonanten "m" und "n" werden hier und im Folgenden ausgeschrieben.

5Nach Kreysing, op. cit., S. 63 handelt es sich um die Suite E-Dur (Nr. 33).

6Kreysing, op. cit., S. 64.

7Kreysing, op. cit., S. 67; Franz Krenn (1816-1897) war von 1869 bis 1893 Professor für Harmonielehre, Kontrapunkt und Komposition am Wiener Konservatorium und Lehrer Rotts wie Mahlers.

8Zitat laut Mitteilung von Uwe Harten; danach ist der Tagebucheintrag bei Kreysing, op. cit., S. 147, nicht korrekt zitiert.

9Op. cit., S. 147f. Hervorhebungen im Original.

10Robert Lach: Geschichte der Staatsakademie und Hochschule für Musik und darstellende Künste in Wien, Wien, Prag, Leipzig 1927, S. 61.

11Carl Hruby: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner, Wien 1901, S. 12f.; vgl. August Göllerich/Max Auer: Anton Bruckner, Bd. IV/1, Regensburg 1936, S. 441; und Maja Loehr: Hans Rott. Biographie (1949), in: Uwe Harten (Hrsg.): Hans Rott (1858-1884). Biographie, Briefe, Aufzeichnungen und Dokumente aus dem Nachlaß von Maja Loehr, Wien 2000, S. 51-96; hier S. 64.

12Hruby, a.a.O.; hier zitiert nach Nowak, op. cit., S. 273.

13Vgl. Maja Loehr: Hans Rott., in: op. cit. S. 64.

14Kreysing, op. cit., S. 68; Kreysing datiert den Brief mit "Juni 1878", obwohl seiner eigenen Anmerkung zu Folge auf dem Briefumschlag der vermutlich von Maja Loehr stammende Vermerk "Mitte Juli (vor dem 15.) 78" zu finden ist; sowohl die zitierte Anspielung Rotts als auch die später im Brief erfolgende Erwähnung der "glücklichen Absolvierung" Rudolf Krzyzanowskis legen nahe, dass der Brief nach dem 02. Juli und vor dem 15. Juli 1878 geschrieben wurde. Rudolf Krzyzanowski hatte beim "Konkurs" am 02. Juli einen Ersten Preis gewonnen; vgl. Maja Loehr: Hans Rott. Biographie, a.a.O., S. 64.

15Vgl. die Briefe an Heinrich Krzyzanowski vom 20. 07. (Kreysing, op. cit., S. 70); 26. 07. (Kreysing, op. cit., S. 71); 05. 08. (Kreysing, op. cit., S. 72) und vom 15. 08. (Kreysing, op. cit., S. 73).

16Vgl. Harten, op. cit., S. 110.

17Unter diesem Datum Eintrag ins Tagebuch: "8 Uhr Morgens in Eger angelangt." Harten, op. cit., S. 110.

18Vgl. den Brief Rotts an Heinrich und Rudolf Krzyzanowski vom 26. 09.; Kreysing, op. cit., S. 74.

19Sk1-4; näheres s. unten zu Quellen. Die Reihenfolge der zum größten Teil von Rott paginierten Skizzenblätter ist bei der Kollation offenbar durcheinander geraten; auf die Rekonstruktion der ursprünglichen Reihenfolge kann hier nicht näher eingegangen werden.

20Nowak, op. cit., S. 303, gibt als weiteres Datum in den auf den zweiten Satz sich beziehenden Skizzen "? 8. 78" an. Damit ist offensichtlich eine Angabe auf Seite 1 der Skizze gemeint, auf der allerdings zwischen der ersten "8" und dem folgenden "78" kein Punkt zu erkennen ist, so dass sich zusammen mit einem durch Anfangsschnörkel verunklarten Längsstrich lediglich die Jahreszahl "1878" ergibt.

21Nowak, ebd., liest das erste der angegebenen Daten; doch auch hier ist die Angabe keineswegs eindeutig zu entziffern; es könnte sich wiederum um die reine Jahresangabe "1879" oder um eine Zahlenangabe, die nichts mit einem Datum zu tun hat, handeln.

22Vgl. Nowak, ebd. Die Entstehung dieses Satzes wäre näherer Betrachtung wert; denn die Datierung der Skizzen weist aus, dass er ursprünglich mit T. 323ff. beginnen sollte.

23Zitiert nach Nowak, op. cit., S. 303.

24Kreysing, op. cit., S. 56.

25Kreysing, op. cit., S. 57.

26Vgl. den Brief Rotts an Louise [Löwi/Löhr] vom 02. 06. 1880; Kreysing, op. cit., S. 88: "Morgen ziehe ich in meine schöne Landwohnung […]."

27Vgl. die Nachricht Rotts an Friedrich Löwi/Löhr vom 24. 07. 1880 aus Glashütte; Harten, op. cit., S. 138. Anfang Juli scheint Rott indes für einige Zeit nach Wien zurückgekehrt zu sein; eine biographische Aufzeichnung ist mit "Wien am 8. Juli 1880. Donnerstag." datiert (Kreysing, op. cit., S. 106).

28Die doppelte Schreibweise des Nachnamens wurde von Harten, op. cit., passim, übernommen; zwischen 1887 und 1901 erfolgte die Änderung des Nachnamens der einzelnen Familienmitglieder; vgl. Harten, op. cit., S. 250.

29Harten, op. cit., S. 138. S. zu den im Brief genannten Personen Joseph Saphier (1859-1940) und John Leo Löwi (1856-1883) das Kommentierte Personenverzeichnis bei: Harten, op. cit., S. 245-255.

30Zitiert nach Nowak, op. cit., S. 303.

31Sk 1-4; s. unten Quellen.

32Zitiert nach: Harten, op. cit., S. 133.

33Vgl. Harten, op. cit., S. 30; Rott reicht schließlich für diese Bewerbung offenbar nicht die Symphonie, sondern ein Ende August vollendetes Streichsextett (Nr. 42) ein; vgl. den Brief an Joseph Seemüller vom 09. 09. 1880, Harten, op. cit. S. 155.

34Vgl. Loehr, in: Harten, op. cit., S. 87.

35Harten, op. cit., S. 138f.: "Ich fahre Freitag Abends ½6 Uhr mit dem Postwagen nach Rekawinkl [sic], von hier per Bahn nach Wien und gleich zu Euch [...]."

36Harten, op. cit., S. 155; zu Rotts Freund und Mitschüler in der Kompositionssklasse Franz Krenns vgl. Harten, op. cit., S. 252. Zur "Hörner Passage" vgl. Anm. zu Satz 4, T. 225-262.

37Harten, op. cit., S. 157.

38Der erste, noch sehr gewunden formulierte Bittbrief an Seemüller stammt vom 23. 12. 1879; vgl. Harten, op. cit., S. 118f. Im Verlauf des nächsten halben Jahres werden die Bitten forscher und drängender; vgl. die Briefe an Seemüller vom 05. 02. 1880 (Harten, op. cit., S. 120f.), 11. 02. 1880 (Harten, op. cit., S. 121f.), 22. 03. 1880 (Harten, op. cit., S. 122), 10. 04. 1880 (Harten, op. cit., S. 127), 17. 04. 1880 (Harten, op. cit., S. 127f.), 28. 05. 1880 (Harten, op. cit., S. 132).

39Harten, op. cit., S. 151.

40Harten, op. cit., S. 155; ähnlich auch einen Tag später an Friedrich Löwi/Löhr, doch nun wird die Enttäuschung durch Bagatellisierung und Selbstüberhebung rationalisiert; ihm sei plötzlich erst eingefallen, dass er wegen der Symphonie Donnerstags zu Richter müsse, von dem es nun heißt: "Fritz, weißt Du was das für mich ist, von Schwächlingen an der Nase herumgeführt zu werden?"

41Harten, op. cit., S. 158.

42Harten, op. cit., S. 155.

43Harten, op. cit., S. 165.

44Kreysing, op. cit., S. 100.

45Maja Loehr, in: Harten, op. cit., S. 90.

46Harten, op. cit., S. 152. Harten, op. cit., S. 165.

47Zitiert nach Maja Loehr, in: Harten, op. cit., S. 87.

48So das Ausstellungsdatum von Rotts Reisepass; vgl. Harten, op. cit., S. 93, Anm. 158.

49Zitiert nach: Harten, op. cit., S. 27.

50Ebd.

51Der Bescheid ist abgedruckt bei Kreysing, op. cit., S. 102.


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